„Es ist unser Auftrag, die Not der Zeit zu lindern“

20.10.2022

Seit 30 Jahren gibt es im Göttlicher Heiland Krankenhaus Wien die Palliativstation St. Raphael. Sie war die erste Palliativstation in Österreich. Palliativmedizin ist heute weit mehr als Sterbebegleitung. Palliative Care ist ein gesamtheitliches Therapiekonzept, das Menschen mit schweren Erkrankungen ein lebenswertes Leben ermöglicht, auch wenn keine Heilungschancen mehr gegeben sind. Das sagt Primaria Dr.in Athe Grafinger MSc, medizinische Leiterin der Palliativstation St. Raphael.

Zehn Betten, davon zwei in Einzelzimmern und acht in Doppelzimmern, stehen im Göttlicher Heiland Krankenhaus Patient*innen mit unheilbaren Erkrankungen zur Verfügung. „Es ist eine kleine, aber auch wegweisende Station in der Entwicklungsgeschichte der österreichischen Hospiz- und Palliativbetreuung“, erzählt Primaria Athe Grafinger, die seit 2015 die medizinische Leitung innehält. „St. Raphael wurde 1992 als erstes stationäres Hospiz Österreichs eingerichtet.“ Gegründet wurde dieses aus dem Ordensauftrag Die Not der Zeit zu lindern mit dem Ziel, unheilbar kranken Menschen, die im Sozialsystem keine Lobby hatten, einen Platz zur professionellen individuellen Betreuung am Lebensende zu geben. 

Lebensqualität und Selbstbestimmung

Das Konzept basiert auf dem Lebenswerk der englischen Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin Cicely Saunders, die 1967 mit dem von ihr gegründeten St. Christopher‘s Hospice in London zur weltweiten Wegbereiterin für Hospizarbeit und Palliativmedizin avancierte. „Österreich steckte damals noch in den Anfängen“, so Grafinger, „vor allem im stationären Bereich gab es nichts Vergleichbares.“ Die Einrichtung im Göttlichen Heiland leistete somit Pionierarbeit. Anfangs noch ohne Kostenersatz. „Erst 2003, als das Hospiz in eine Palliativstation umgewandelt wurde, war auch die Finanzierung sichergestellt“, sagt Grafinger. Viele setzen Palliativbetreuung gleich mit Sterbebegleitung. „Natürlich versterben Patient*innen auch auf unserer Station“, konstatiert Grafinger. „Unser Ziel ist aber in erster Linie Stabilisierung. Wir behandeln Patient*innen in komplexen Situationen, mit belastenden Beschwerden, die in einem anderen Bereich des Gesundheitswesens nicht mehr adäquat betreut werden können und versetzen sie in die Lage, ein möglichst lebenswertes und selbstbestimmtes Leben trotz ihrer schweren Erkrankung bis zum Schluss leben zu können.“ 

Der Tod als Teil des Lebens

Aufgenommen werden Menschen jeden Alters mit unheilbaren, fortschreitenden oder weit fortgeschrittenen Erkrankungen. „Wir haben vorwiegend Patient*innen mit onkologischen Erkrankungen, aber auch Menschen mit Herzinsuffizienz, Lungenerkrankungen oder Demenz im fortgeschrittenen Stadium“, erzählt die Leiterin der Palliativstation. „Gut die Hälfte unserer Patient*innen wird nach rund 15 Tagen entweder nach Hause oder in eine Pflegeeinrichtung entlassen - je nachdem, was erforderlich ist.“ Verändert die Arbeit in einer Palliativstation das Verhältnis zum Tod? „Durchaus nicht“, antwortet Grafinger. „Für mich ist der Tod Teil des Lebens. Leider wird das Thema von unserer Gesellschaft häufig ausgeblendet.“ Es sei auch gut, dass es hinsichtlich des Sterbeverfügungsgesetzes eine verpflichtende palliativmedizinische Beratung gebe. „Der Großteil der Menschen, die nicht mehr leben wollen, meinen eigentlich, dass sie nicht mehr auf diese Weise leben möchten. Viele wissen nicht, welche Möglichkeiten es gibt, belastende Situationen anders zu meistern und professionelle Unterstützung zu bekommen. Die Rolle der Palliativmedizin ist daher auch eine beratende, um betroffenen Personen andere Wege aufzuzeigen und ihnen ein Stück Leben zurückzugeben.“

Prim.a Dr.in Athe Grafinger, MSc Medizinische Leiterin der Palliativstation St. Raphael im Göttlicher Heiland Krankenhaus. Die Wienerin spezialisierte sich nach ihrer Ausbildung zur Fachärztin für Innere Medizin auf das Zukunftsthema Geriatrie. Zuletzt war sie im „Haus der Barmherzigkeit“ Ärztliche Direktorin sowie Leiterin der Abteilung für Innere Medizin mit allgemeiner Geriatrie und Palliativmedizin. Grafinger ist die erste Primaria im Krankenhaus Göttlicher Heiland Wien.